Die Rote Armee aufbauen
"883" vom 5. Juni 1970
Genossen von 883 - es hat keinen Zweck, den falschen Leuten das Richtige erklären zu wollen. Das haben wir lange genug gemacht. Die Baader-Befreiungs-Aktion haben wir nicht den intellektuellen Schwätzern, den Hosenscheißern, den Allesbesser-Wissern zu erklären, sondern den potentiell revolutionären Teilen des Volkes.
Das heißt denen, die die Tat sofort begreifen können, weil sie selbst Gefangene sind. Die auf das Geschwätz der »Linken« nichts geben können, weil es ohne Folgen und Taten geblieben ist. Die es satt haben! Den Jugendlichen im Märkischen Viertel habt ihr die Baader-Befreiungs-Aktion zu erklären, den Mädchen im Eichenhof, in der Ollenhauer, in Heiligensee, den Jungs im Jugendhof, in der Jugendhilfsstelle, im Grünen Haus, im Kieferngrund. Den kinderreichen Familien, den Jungarbeitern und Lehrlingen, den Hauptschülern, den Familien in den Sanierungsgebieten, den Arbeiterinnen von Siemens und AEG-Telefunken, von SEL und Osram, den verheirateten Arbeiterinnen, die zu Haushalt und Kindern auch noch den Akkord schaffen müssen - verdammt!
Denen habt ihr die Aktion zu vermitteln, die für die Ausbeutung, die sie erleiden, keine Entschädigung bekommen durch Lebensstandard, Konsum, Bausparvertrag, Kleinkredite, Mittelklassewagen. Die sich den ganzen Kram nicht leisten können, die da nicht dran hängen. Die alle Zukunftsversprechen ihrer Erzieher und Lehrer und Hausverwalter und Fürsorger und Vorarbeiter und Meister und Gewerkschaftsfunktionäre und Bezirksbürgermeister als Lügen entlarvt haben und nur noch Angst vor der Polizei haben. Denen - und nicht den kleinbürgerlichen Intellektuellen - habt ihr zu sagen, daß jetzt Schluß ist, daß es jetzt los geht, daß die Befreiung Baaders nur der Anfang ist!
Daß ein Ende der Bullenherrschaft abzusehen ist! Denen habt ihr zu sagen daß wir die Rote Armee aufbauen, das ist ihre Armee. Denen habt ihr zu sagen, daß es jetzt losgeht. -Die werden nicht blöde fragen, warum gerade jetzt? Die haben die tausend Wege zu Behörden und Ämtern schon hinter sich - den Tanz mit Prozessen -, die Wartezeiten und -zimmer, das Datum, wo es bestimmt klappt und nichts geklappt hat. Und das Gespräch mit der netten Lehrerin, die die Überweisung an die Hilfsschule dann doch nicht verhindert hat und der hilflosen Kindergärtnerin, wo auch kein Platz frei wurde. Die fragen euch nicht, warum gerade jetzt - verdammt.
Die glauben euch natürlich kein Wort, wenn ihr selbst nicht mal in der Lage seid, die Zeitung zu verteilen, bevor sie beschlagnahmt wird. Weil ihr nicht die linken Schleimscheißer zu agitieren habt, sondern die objektiv Linken, habt ihr ein Vertriebsnetz aufzubauen, an das die Schweine nicht rankommen. Quatscht nicht, das sei zu schwer. Die Baader-Befreiungs-Aktion war auch kein Deckchensticken. [...]
Was heißt: Die Konflikte auf die Spitze treiben? Das heißt: Sich nicht abschlachten lassen. Deshalb bauen wir die Rote Armee auf. Hinter den Eltern stehen die Lehrer, das Jugendamt, die Polizei. Hinter dem Vorarbeiter steht der Meister, das Personalbüro, der Werkschutz, die Fürsorge, die Polizei. Hinter dem Hauswart steht der Verwalter, der Hausbesitzer, der Gerichtsvollzieher, die Räumungsklage, die Polizei. Was die Schweine mit Zensuren, Entlassungen, Kündigungen, mit Kuckuck und Schlagstock schaffen, schaffen sie damit. Klar, daß sie zur Dienstpistole greifen, zu Tränengas, Handgranaten und MPs, klar, daß sie die Mittel eskalieren, wenn sie anders nicht weiterkommen. Klar, daß die GIs in Vietnam auf Guerilla-Taktik umgeschult wurden, die Green-Berretts auf Folterkurs gebracht. Na und? Klar, daß der Strafvollzug für Politische verschärft wird.
Ihr habt klarzumachen, daß das sozialdemokratischer Dreck ist, zu behaupten, der Imperialismus samt allen Neubauers und Westmorelands, Bonn, Senat, Landesjugendamt und Bezirksämtern, der ganze Schweinkram ließe sich unterwandern, nasführen, überrumpeln, einschüchtern, kampflos abschaffen. Macht das klar, daß die Revolution kein Osterspaziergang sein wird. Daß die Schweine die Mittel natürlich so weit eskalieren werden, wie sie können, aber auch nicht weiter. Um die Konflikte auf die Spitze treiben zu können, bauen wir die Rote Armee auf.
Ohne gleichzeitig die Rote Armee aufzubauen, verkommt jeder Konflikt, jede politische Arbeit im Betrieb und im Wedding und im Märkischen Viertel und in der Plötze und im Gerichtssaal zu Reformismus, d. h.: Ihr setzt nur bessere Disziplinierungsmittel durch, bessere Einschüchterungsmethoden, bessere Ausbeutungsmethoden. Das macht das Volk nur kaputt, das macht nicht kaputt, was das Volk kaputt macht!
Ohne die Rote Armee aufzubauen, können die Schweine alles machen, können die Schweine weitermachen: Einsperren, Entlassen, Pfänden, Kinder stehlen, Einschüchtern, Schießen, Herrschen. Die Konflikte auf die Spitze treiben heißt: Daß die nicht mehr können, was die wollen, sondern machen müssen, was wir wollen.
Denen habt ihrs klar zu machen, die von der Ausbeutung der Dritten Welt, vom persischen Öl, Boliviens Bananen, Südafrikas Gold - nichts abkriegen, die keinen Grund haben, sich mit den Ausbeutern zu identifizieren. Die können das kapieren, daß das, was hier jetzt losgeht, in Vietnam, Palästina, Guatemala, in Oakland und Watts, in Kuba und China, in Angola und New York schon losgegangen ist. Die kapieren das, wenn ihr es ihnen erklärt, daß die Baader-Befreiungs-Aktion keine vereinzelte Aktion ist, nie war, nur die erste dieser Art in der BRD ist. Verdammt.
Sitzt nicht auf dem hausdurchsuchten Sofa herum und zählt eure Lieben, wie kleinkarierte Krämerseelen. Baut den richtigen Verteilerapparat auf, laßt die Hosenscheißer liegen, die Rotkohlfresser, die Sozialarbeiter, die sich doch nur anbiedern, dies Lumpenpack.
Kriegt raus, wo die Heime sind und die kinderreichen Familien und das Subproletariat und die proletarischen Frauen, die nur darauf warten, den Richtigen in die Fresse zu schlagen. Die werden die Führung übernehmen. Und laßt euch nicht schnappen und lernt von denen, wie man sich nicht schnappen läßt - die verstehen mehr davon als ihr.
Die Klassenkämpfe entfalten!
Das Proletariat organisieren!
Mit dem bewaffneten Widerstand beginnen!
DIE ROTE ARMEE AUFBAUEN!
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Faschismus ist Kapitalismus
1. Faschismus, das Werk eines Wahnsinnigen?
Schon seit Längerem vergeht keine Woche, ja kaum ein Tag, ohne Dokumentationen über das "Dritte Reich" und seine Führer, insbesondere DEN "Führer" Adolf Hitler. In ihnen wird das faschistische Deutschland von 1933-1945 so dargestellt, als sei dies ein "Ausrutscher" der Geschichte gewesen, herbeigeführt von einem "Wahnsinnigen" und seiner Gefolgschaft. Peinlich vermieden wird, auf die gesellschaftlichen Umstände der Entstehung des Faschismus hinzuweisen.
Nur am Rande wird erwähnt, daß er nicht nur ein deutsches Phänomen war, sondern ebenso in Spanien, Italien und Japan und nachfolgend in den von Deutschland und seinen Verbündeten "angeschlossenen" und kriegerisch okkupierten Ländern. Nicht nur die Invasoren errichteten ihn, sondern mit ihnen die entfesselten dortigen Faschisten. Der Faschismus wurde zur fast gesamteuropäischen und in geringerem Umfang weltweiten Herrschaftsform.
Das soll das Werk EINES Wahnsinnigen gewesen sein, ein unwiederholbarer Fehler, wie uns die Medien weismachen wollen? Nein. Der Faschismus entwickelte sich aus bestimmten und bestimmbaren gesellschaftlichen Bedingungen - und wer die analysiert, kann erkennen, daß sich dieser "Fehler" nicht nur wiederholen KANN, sondern MUSS und WIRD. Nur die durch (Ver-) Bildung und Medien vermittelte mehrheitliche Verblödung verhindert, das zu erkennen. Sie vermittelt das von den Eigentümern der Medien erwünschte Bild, daß Kapitalismus und sie, die Bourgeois, so gaaaaar nichts mit der Entstehung des Faschismus zu tun hätten.
Nun, sowenig man einen Schlachthofbesitzer und die Mitarbeiter seiner Werbeabteilung nach den gesundheitlichen Risiken seiner Produkte fragen sollte, darf man Kapitalisten und die Mitarbeiter ihrer Medien nach Faschismus fragen.
Ich gebe zu, daß Kommunisten gegenüber dem Kapitalismus und Faschismus parteiisch sind, denn wir sind bekannter- und erklärtermaßen die Partei, welche die Klasse der ausgebeuteten Lohnarbeiter, das Proletariat, im Klassenkampf gegen die Bourgeoisie anführt. Deshalb darf und muß an den folgenden Nachweis, daß Kapitalismus IMMER Faschismus hervorbringt, mit allen erdenklichen Vorurteilen herangegangen werden, denn ich BIN parteiisch, intolerant, radikal und fundamental (wenn auch manchmal nicht konsequent genug) und könnte so einen logischen Fehler trotz aller Sorgfalt übersehen. Also: Wie entsteht Faschismus?
2. Die Überproduktionskrisen des Kapitalismus
Der Kapitalismus beruht auf Konkurrenz. Konkurrenz derer, denen die Produktionsmittel (Fabriken, Banken, Versicherungen, Kaufhäuser, Mietimmobilien, Boden...) gehören (kurz: Kapitalisten, Klasse: Bourgeoisie). Aber auch Konkurrenz zwischen Lohnarbeitern, welche nach dem Radfahrerprinzip vorgehen: nach oben buckeln und nach unten treten (Klasse: Proletariat).
Das Ziel beider Klassen ist ein möglichst hohes Einkommen: bei Bourgeois der Profit, bei Proletariern der Lohn. Der Bourgeois ist also daran interessiert, möglichst viel Profit, das heißt, möglichst viel Gewinn bei möglichst wenig Aufwand, zu machen. Der Proletarier ist dagegen bestrebt, von diesem Aufwand (den Lohnkosten) eine möglichst große Menge (nicht Anteil, denn der verteilt sich ja auf alle Proletarier, mit denen er in Konkurrenz steht) abzubekommen.
2.1. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt
Der wissenschaftlich-technische Fortschritt führt dazu, daß mit immer weniger menschlichem Arbeitsaufwand immer mehr produziert wird. Gleichzeitig steigt für den Bourgeois der Aufwand für technische Ausrüstung (Maschinen, Produktionsstätten) gegenüber menschlichem Aufwand (Lohnarbeiter). Er muß immer mehr Kapital für nichtmenschliche Produktionsmittel (Maschinen, Produktionsstätten = konstantes Kapital) aufwenden und kann den Aufwand für Lohnarbeiter (variables Kapital) immer weiter senken. Die Hauptproduktivkraft Mensch (Lohnarbeiter) tritt zunehmend in den Hintergrund. Das hat Entlassungen zur Folge.
Zunächst finden die entlassenen Proletarier in neu entstehenden Produktionszweigen Arbeit (in jüngster Vergangenheit: neue Technologien, Kommunikationsunternehmen). Aber auch die unterliegen wieder den Gesetzen des kapitalistischen Marktes. Auch hier hat der wissenschaftlich-technische Fortschritt die beschriebenen Folgen: immer mehr Proletarier werden letztlich vom Produktionsprozeß ausgeschlossen.
2.2. Die Pufferfunktion des kapitalistischen Staates
Nun könnte man schlußfolgern: die Arbeitslosen erarbeiten nichts, erhalten also auch keinen Lohn. Das bedeutet sozialen Abstieg, Verelendung und folglich Unzufriedenheit. Unzufriedenheit, welche zur Suche nach Ursache und Lösung führt. Unzufriedenheit, welche letztlich zu Aufruhr und Gefährdung des gesamten Gesellschaftssystems führt - wie die Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert eindrücklich zeigte. Zunehmend zielgerichtet und organisiert zwang sie die Bourgeoisie angesichts der Gefahr derer Vernichtung zu Zugeständnissen.
Da Zwangsmaßnahmen mittels der Gewaltinstrumente des Staates offensichtlich nicht mehr genügten (die Pariser Kommune war der Bourgeoisie eine eindrückliche Warnung), folgte in Deutschland unter Otto von Bismarck eine bis heute übliche Doppelstrategie: Zugeständnisse in Form von Sozialgesetzen und Konzentration der Gewaltmaßnahmen auf die Führung der Arbeiterbewegung. Damals war das die Einführung der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung in Verbindung mit dem Sozialistengesetz, in der BRD erfolgten jahrzehntelang Zugeständnisse in gewerkschaftlichen Tarif"kämpfen", verbunden mit KPD-, FDJ- und Berufsverboten.
Der kapitalistische Staat pufferte die geschilderten gesetzmäßigen Folgen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Die Bourgeoisie zog die Profitschmälerung durch Sozialleistungen der Gefährdung ihrer Existenz (natürlich) vor.
2.3. Verschärfung der Probleme
Nur: die beschriebenen Gesetzmäßigkeiten wirken weiter. Die Profitrate sinkt (da nur menschliche Arbeit Profit abwirft), der Anteil konstanten Kapitals und die dafür nötigen Aufwendungen steigen. Das schränkt auch die Möglichkeiten für soziale Leistungen (nicht nur) an das immer größer werdende Arbeitslosenheer zunehmend ein. In den 20er / 30er Jahren nannte man die notwendigen Maßnahmen sozialen Kahlschlags Notverordnungen, heute heißen sie "Reformen". Die Wirkungen sind gleich: Der materielle Lebensstandard immer größerer Bevölkerungskreise sinkt spürbar, gleichzeitig beschleunigt deren Wegfall als Konsumenten die Entwicklung der Überproduktionskrise (jüngstes Beispiel der Auswirkungen: Karstadt/Quelle).
Die Folgen kann man sich nicht nur an einer Hand abzählen, sondern gegenwärtig auch an Montagsdemos, Bestrebungen zur Gründung einer neuen Linkspartei und dem Zusammenschluß verschiedener Kräfte zu Aktionsbündnissen ablesen: Die Unzufriedenheit wächst, die Unzufriedenen protestieren und organisieren sich.
3. Der offene Terror
Bei der Entwicklung des Protests kann nicht ausbleiben, daß die Ursachen der Krise erkannt werden. Dafür sorgen schon wir Kommunisten, aber auch jeder nicht völlig verblödete Proletarier wird irgendwann das Lügennetz der bürgerlichen Propaganda durchschauen. Und ist erst einmal die Ursache, der Kapitalismus, erkannt, ist es bis zur Lösung nicht weit: der Beseitigung der Ursache, die Beseitigung des Kapitalismus durch Beseitigung seiner Grundlage: durch Enteignung der bourgeoisen Schmarotzer (was eine Tautologie ist). Dabei gibt es Probleme: Den Schmarotzern gefällt das nicht. Gleichzeitig hat der bürgerlich-scheindemokratische Parlamentarismus ausgedient (dessen Unglaubwürdigkeit zeigt sich an der geringen Wahlbeteiligung TROTZ Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten mit der Regierungspolitik).
Die Bourgeois haben die materiellen, finanziellen und personellen Mittel, sie haben die Medien und sie haben ihre Lakaien im bürgerlichen Staat und damit die Verfügung über seine Gewaltinstrumente (Militär, Polizei, Geheimdienst), um ihre Macht zu schützen. All diese Mittel nutzen sie zum Übergang in die offen terroristische, faschistische Gewaltherrschaft. Die Anzeichen dieses Übergangs in der BRD habe ich bereits in einem anderen Aufsatz behandelt (siehe Aufsatz "Nie wieder Faschismus ?" im Heft "Arbeit").
Seit diesem Aufsatz sind weitere Anzeichen des Übergangs sichtbar geworden: Die Wahlerfolge nationalistischer Parteien bei den Landtagswahlen, z.B. in Sachsen. Von Politikern und bürgerlichen Medien (zur Erinnerung: Lakaien der Bourgeoisie) als "Protestwahl" verharmlost, sind sie deutlicher Ausdruck des Erfolges eines ganz und gar nicht neuen Tricks: Damit der deutsche Arbeiter die wahren Schmarotzer, die Bourgeoisie, nicht erkennt, wird ihm eine Gemeinschaft mit diesen Schmarotzern (deutsche Nation) vorgegaukelt. Als Feindbild dienen Arbeiter "anderer Nationen", (z.B. Türken, Polen...) oder auch Religionen (Muslime), welche von deren Schmarotzern in gleicher Weise verhetzt werden.
Fast überflüssig zu erwähnen ist, daß das NPD-Verbot an angeblichen "Pannen" gescheitert ist, weil die Spitze der Nazis zu erheblichen Teilen aus vom Staat bezahlten Staatsdienern besteht (diese Perversion des bürgerlichen "Rechts" muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen). Die Wahlwerbung der Nazis zeigte deutlich, daß das keine Initiativen verarmter Arbeitsloser sind, sondern Sponsoren der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, dahinterstehen. Und auch auf den Montagsdemos wurde die Verbindung von Kapital, Staat und Nazis deutlich: Die Einsatzkräfte der Polizei in Prügelausrüstung standen mit den Nazis in einer Blickrichtung und Front: Gegen die Antifa, welche - Hut ab vor dieser Leistung - bisher durch Menschenketten die Teilnahme der Nazis am Demonstrationszug verhinderte.
4. Es kommt noch schlimmer
Den, der glaubt, die faschistische Herrschaft sei das Ende und man müsse sich ihr nur anpassen oder mitmachen, muß ich leider enttäuschen. Denn alle genannten Maßnahmen können Eines nicht leisten: die Lösung der Krise. Billige Zwangsarbeiter sind keine brauchbaren Konsumenten. Die faschistische Herrschaft hält zwar soziale Unruhen unter Kontrolle, hat aber keinen Einfluß auf die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus. Der ist trotz seiner neuen Herrschaftsform immer noch Kapitalismus. Durch die endgültige Beseitigung sozialer Absicherung für unproduktive Proletarier und gewaltsame Unterdrückung der Vertreter der Arbeiterinteressen wird zwar für die Bourgeoisie die Produktion immer billiger, aber der Zusammenbruch des Konsums beschleunigt sich.
Dadurch wird neuer Bedarf notwendig. Wie der erzeugt wird, lehrt die Geschichte. Nur ein Krieg oder Bürgerkrieg ermöglicht, Bedarf im Rüstungssektor zu erzeugen, denn nur verbrauchte Rüstungsgüter werfen Profit ab. Nicht umsonst soll die ständige Aufrüstung in der EU-Verfassung festgeschrieben werden. Nicht umsonst führen alle großen imperialistischen Staaten Krieg: gegen Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Irak.
Beendet das die Krise? Ganz offensichtlich nicht. Die Idee, durch Rüstungsproduktion und -konsumption die "Wirtschaft zu beleben" würde einen permanent erweiterten Krieg erfordern. Bei allen Opfern bringt das keine Lösung der Probleme, denn auch die Rüstungsproduktion unterliegt den kapitalistischen Marktgesetzen. Man sieht das deutlich an "High-Tech"-Kriegern und -Waffen: auch hier ist immer weniger Personal bei immer mehr technischem Aufwand nötig. Aber nur der Soldat ist auch außerhalb des militärischen Sektors Konsument - seine Waffen sind konstantes Kapital.
Das gestattet nur eine Lösung: Der Krieg muß massiv zivile Werte zerstören, um Profit aus deren Wiederaufbau zu ermöglichen. Deshalb darf sich die Zerstörung nicht nur auf unterentwickelte Gebiete (Kosovo, Afghanistan, Irak) beschränken, sondern muß in den entwickelten Industrieländern stattfinden. Eine Verschwörungstheorie? Ein Horrorszenario der Kommunisten? Mitnichten.
5. Die neue Qualität des Zweiten Weltkrieges
Genau das Beschriebene fand bereits statt. Der Erste Weltkrieg beschränkte sich wie die Kriege vorher noch überwiegend auf die Zerstörung militärischer Ziele. Er "löste" die Krise des Kapitalismus nur kurzfristig. Fast unmittelbar folgte diesem Krieg schon in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine große Weltwirtschaftskrise. Rezession und Massenarbeitslosigkeit erreichten Ende der 20er / Anfang der 30er Jahre ihren Höhepunkt.
Der Zweite Weltkrieg wurde von allen Seiten wesentlich anders geführt: Es war ein Vernichtungskrieg gegen Zivilbevölkerung und zivile Werte. Nicht nur die deutschen Faschisten ließen zivile Einrichtungen in Schutt und Asche legen (Warschau, Rotterdam, Coventry), auch die westlichen Alliierten zerstörten Städte ohne militärische Bedeutung. Als Dresdner fällt mir da zunächst Dresden ein, aber auch französische Städte wurden nach der Landung in der Normandie von Briten und Amerikanern zerstört, obwohl die deutschen Streitkräfte sie längst geräumt hatten.
Den "Erfolg" dieser beiderseitigen Maßnahmen kennen wir inzwischen aus der Geschichte. Profit, Profit und nochmals Profit. "Wirtschaftswunder", Notwendigkeit des Imports ausländischer Proletarier (Türken u.a.). Fast 60 Jahre bestand keine Notwendigkeit eines Krieges zwischen den entwickelten Industrieländern - kein "Wunder", sondern Folge des Zweiten Weltkriegs mit seinen massiven zivilen Zerstörungen an Werten und Leben.
6. Unsere Zukunft: Faschismus und Krieg
Die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsverhältnisse wirken auch heute weiter. Der "Krieg gegen den Terrorismus" ist erklärt und wird geführt. Zur Bewältigung der Krise ist aber auch die Zerstörung von gegenständlichen zivilen Werten in der "zivilisierten westlichen Welt" unabdingbar. Proletarier werden gegen andere (vor Allem ausländische) Proletarier aufgehetzt. Krieg oder Bürgerkrieg - den Bourgeois ist das egal. Die Bourgeoisie schreckt vor KEINEM Mittel zurück, ihre Macht zu erhalten. Die Nazis marschieren mit Rückendeckung des Staates und werden schon wieder massenhaft von Proletariern gewählt.
Schon einmal wurde nicht auf uns Kommunisten gehört, als die KPD warnte: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg." Heute warnen wir wieder und werden auch diesmal Recht behalten. Wir wissen, was geschehen wird, weil wir wissen, warum es aufgrund der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus geschehen muss.
Wer den Kapitalismus will, bekommt auch den Imperialismus, Faschismus und Krieg. Wir können das nur immer wieder erklären und begründen, aber verstehen müssen es die Proletarier und vielleicht ein paar fortschrittliche Bourgeois schon selbst. Aber selbst wer es nicht versteht, kann sich nicht herausreden, er hätte das Alles nicht gewusst, denn wir haben es ihm gesagt und er WOLLTE nur aufgrund des eigenen Egoismus und / oder seiner Denkfaulheit nicht verstehen.
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Auflösungserklärung der RAF
20. April 1998
Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF: Heute beenden wir dieses Projekt.
Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.
Wir, das sind alle, die bis zuletzt in der RAF organisiert gewesen sind. Wir tragen diesen Schritt gemeinsam. Ab jetzt sind wir, wie alle anderen aus diesem Zusammenhang, ehemalige Militante der RAF.
Wir stehen zu unserer Geschichte. Die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit, entgegen der Tendenz dieser Gesellschaft, zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse beizutragen. Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein. Das Ende dieses Projekts zeigt, daß wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte. Die RAF ist unsere Entscheidung gewesen, uns auf die Seite derer zu stellen, die überall auf der Welt gegen Herrschaft und für Befreiung kämpfen. Für uns ist diese Entscheidung richtig gewesen.
Zusammengenommen Hunderte von Jahren Gefängnis gegen die Gefangenen aus der RAF haben uns ebensowenig auslöschen können wie alle Versuche, die Guerilla zu zerschlagen. Wir haben die Konfrontation gegen die Macht gewollt. Wir sind Subjekt gewesen, uns vor 27 Jahren für die RAF zu entscheiden. Wir sind Subjekt geblieben, sie heute in die Geschichte zu entlassen.
Das Ergebnis kritisiert uns. Aber die RAF - ebenso wie die gesamte bisherige Linke - ist nichts als ein Durchgangsstadium auf dem Weg zur Befreiung. Nach Faschismus und Krieg hat die RAF etwas Neues in die Gesellschaft gebracht: das Moment des Bruchs mit dem System und das historische Aufblitzen von entschiedener Feindschaft gegen Verhältnisse, in denen Menschen strukturell unterworfen und ausgebeutet werden und die eine Gesellschaft hervorgebracht haben, in der sich die Menschen selbst gegeneinander stellen. Der Kampf im gesellschaftlichen Riß, den unsere Feindschaft markierte, griff einer wirklich gesellschaftlich werdenden Befreiung nur voraus: der Riß zwischen einem System, in dem der Profit das Subjekt, der Mensch das Objekt ist, und der Sehnsucht nach einem Leben ohne den Lug und Trug dieser sich sinnentleerenden Gesellschaft. Die Schnauze voll vom Buckeln, Funktionieren, Treten und Getretenwerden. Von der Ablehnung zum Angriff, zur Befreiung.
Die RAF entstand aus der Hoffnung auf Befreiung
Mit dem Mut im Rücken, der von den Guerillas des Südens bis in die reichen Länder des Nordens ausstrahlte, entstand am Anfang der siebziger Jahre die RAF, um aus der Solidarität mit den Befreiungsbewegungen einen gemeinsamen Kampf aufzunehmen. Millionen entdeckten in den Kämpfen des Widerstands und der Befreiung rund um den Globus auch eine Chance für sich selbst. Der bewaffnete Kampf war in vielen Teilen der Welt die Hoffnung auf Befreiung. Auch in der BRD sind es Zehntausende gewesen, die mit dem Kampf der militanten Organisationen des 2. Juni, der RZ, der RAF und später der Roten Zora solidarisch waren. Die RAF entstand als Konsequenz aus den Diskussionen Tausender, die sich in der BRD am Ende der sechziger und den beginnenden siebziger Jahren mit dem bewaffneten Kampf als Weg zur Befreiung auseinandersetzten.
Die RAF nahm den Kampf gegen einen Staat auf, der nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit nicht gebrochen hatte. Der bewaffnete Kampf war die Rebellion gegen eine autoritäre Gesellschaftsform, gegen Vereinzelung und Konkurrenz. Er war die Rebellion für eine andere soziale und kulturelle Realität. Im Aufwind der weltweiten Befreiungsversuche war die Zeit reif für einen entschiedenen Kampf, der die pseudonatürliche Legitimation des Systems nicht mehr akzeptiert und dessen Überwindung ernsthaft wollte.
1975-77
Mit der Besetzung der deutschen Botschaft 1975 in Stockholm begann eine Etappe, in der die RAF alles einsetzte, um ihre Gefangenen aus den Knästen zu befreien. Es kam die Offensive 1977, in deren Verlauf die RAF Schleyer entführte. Die RAF stellte die Machtfrage. Es begann ein radikaler und entschiedener Versuch, gegen die Macht eine offensive Position für die revolutionäre Linke durchzusetzen. Der Staat wollte genau das verhindern. Das Explosive, die Eskalation dieser Auseinandersetzung, kam aber auch aus dem Hintergrund der deutschen Geschichte: der Kontinuität des Nazi- Nachfolgestaates, auf die die RAF mit der Offensive traf. Schleyer, während des Nazi-Regimes Mitglied der SS, war wie viele Nazis aller gesellschaftlichen Ebenen, wieder in Amt und Würden gekommen. Karrieren, die von den Nazis bis in die Regierungsämter der BRD, die Justiz, in den Polizeiapparat, in die Bundeswehr, die Medien und in die Konzernspitze führten. Die Antisemiten, Rassisten und Völkermörder waren nicht selten die alten Täter und neuen Mächtigen.
Schleyer arbeitete im Geflecht der Nazis und des Kapitals an der Errichtung des europäischen Wirtschaftsraumes unter deutscher Vorherrschaft. Die Nazis wollten ein Europa, in dem es weder Kämpfe zwischen den IndustriearbeiterInnen und dem Kapital noch überhaupt Widerstand gegen ihr System geben sollte. Sie wollten die Aufhebung des Klassenkampfes, in dem sie die einen, die deutsch oder "germanisierbar" und als ArbeiterInnen nutzbar waren, in der "Volksgemeinschaft" einzubinden versuchten. Die anderen wurden in der Zwangsarbeit versklavt oder in den Konzentrationslagern systematisch vernichtet. Mit der Befreiung vom Nazi-Faschismus und dem Ende der industriellen Vernichtung von Menschen durch die Nazis kam nicht die Befreiung vom Kapitalismus. Schleyer arbeitete nach '45 an denselben ökonomischen Zielen - in der modernisierten Form. Ein Modernisierungsschub kam mit dem sozialdemokratischen Modell der siebziger Jahre. Als Chef der Industrie war Schleyer immer noch im Aufbau eines Systems der Eindämmung sozialen Widerstands gegen die Bedingungen des Kapitals - z.B. durch Aussperrung - und der Einbindung durch tarifvertraglich ausgehandelte soziale Absicherung tätig. Und es ging auch jetzt um die Einbindung vor allem des deutschen Teils der Gesellschaft, die das Kapital zur verschärften Ausbeutung der ArbeitsimmigrantInnen und im Weltmaßstab zur Beherrschung und Auspressung der Menschen im Süden befähigte, was dort massenhafte Vernichtung durch Hunger bedeutete. Die Kontinuität des Systems, die Schleyer verkörperte - in den siebziger Jahren während der Periode des sozialdemokratischen Modells -, ist ein wesentliches Moment des Aufbaus und der Entwicklung der BRD.
Der absolute Zwang zur Zustimmung zu allen Maßnahmen des Krisenstabes und die Verfolgung jeder kritischen Stimme bis zum Versuch, den politischen Gegner auszulöschen - das waren die gleichen Reaktionsmuster, in denen schon die Nazis handelten. Die Aktionen der Offensive 1977 machten deutlich, daß es in der Gesellschaft Orte gibt, die in keiner Weise vom System einzubinden und kontrollierbar sind. Nach der Ausmerzung des Widerstandes durch die Nazis ist mit den Aktionen der Stadtguerillagruppen nach '68 ein von der Macht nicht mehr zu integrierendes Moment des Klassenkampfes in das postfaschistische Westdeutschland zurückgekehrt. Die Entführung Schleyers spitzte diesen Aspekt des Kampfes wesentlich zu. Der Staat antwortete keineswegs panisch, wie es heute oft gesagt wird. Er reagierte mit der Unterdrückung aller Äußerungen, die die Maßnahmen des Staates im Ausnahmezustand nicht voll unterstützten. Der Staat forderte die Unterordnung der gesamten Medien unter die Linie des Krisenstabs, woran diese sich zum größten Teil freiwillig hielten. Allen, die sich dem nicht unterordneten, drohte die Konfrontation mit dem System. Intellektuelle, von denen jede/r wissen konnte, daß sie nicht mit der RAF sympathisierten, aber dem staatlich verhängten Ausnahmezustand widersprachen, waren vor Hetze und Repression nicht mehr sicher. Die zum Teil wehrmachtserfahrenen Mitglieder des Krisenstabs reagierten '77 im selben Muster, wie es auch die Nazis - wenn auch in weitaus barbarischerem Ausmaß - getan hatten, um antikapitalistische und antifaschistische Kämpfe nicht aufkommen zu lassen oder auszumerzen. Im NS-Faschismus wie auch 1977 zielte die staatliche Politik darauf ab, in der Gesellschaft keinen Raum mehr zwischen gehorchender Loyalität zum Staat im Ausnahmezustand auf der einen und Repression auf der anderen Seite zu lassen.
Nachdem sich immer deutlicher zeigte, daß der Staat Schleyer fallenlassen wurde, kam es durch die Zustimmung der RAF für die Entführung eines zivilen Flugzeugs innerhalb der eigenen Offensive zu einer Guerilla-Aktion, die nur so verstanden werden konnte, als würde die RAF nicht mehr zwischen oben und unten in dieser Gesellschaft unterscheiden. Damit war im berechtigten Versuch, die Gefangenen aus der Folter zu befreien, die sozialrevolutionäre Dimension des Kampfes nicht mehr identifizierbar. Aus dem Bruch mit dem System und der Ablehnung der Verhältnisse in dieser Gesellschaft - was die Bedingung für jede revolutionäre Bewegung ist - war der Bruch mit der Gesellschaft geworden.
Von den siebziger zu den achtziger Jahren
Die RAF hatte alles in die Waagschale geworfen und eine große Niederlage erlitten. Im Kampfprozeß bis zum Ende der siebziger Jahre hatte sich herausgestellt, daß die RAF aus dem 68er Aufbruch mit nur wenigen anderen übriggeblieben war. Viele aus der 68er Bewegung hatten sich zurückgezogen und nutzten ihre Chancen zur Karriere im System. Die RAF hatte als Teil der weltweiten antiimperialistischen Kämpfe den Befreiungskrieg in der Bundesrepublik aufgenommen. 1977 zeigte sich, daß sie weder die politische noch die militärische Kraft hatte, um die Situation auch nach der hervorgerufenen Reaktion - dem inneren Krieg - noch bestimmen zu können. Es war berechtigt, die historische Situation am Anfang der siebziger Jahre zu nutzen und ein neues und in der Metropole unbekanntes Kapitel in der Auseinandersetzung zwischen Imperialismus und Befreiung aufzuschlagen. Die Erfahrung da Niederlage von 1977 zeigte die Grenzen des alten Konzepts Stadtguerilla der RAF auf. Es konnte nur um ein neues Befreiungskonzept gehen.
Die Frontkonzeption der achtziger Jahre war der Versuch, dies zu erreichen. Die RAF wollte neue Verbindungen und die Grundlage für einen gemeinsamen Kampf mit radikalen Teilen der seit Ende der siebziger Jahre entstandenen Widerstandsbewegungen schaffen. Doch das Front-Konzept hielt im wesentlichen an den Grundzügen des alten Projektes aus den siebziger Jahren fest. Die bewaffnete Aktion blieb das zentrale und bestimmende Moment des gesamten als Befreiungskrieg bestimmten revolutionären Prozesses.
Die antiimperialistische Front der achtziger Jahre
Am Anfang der achtziger Jahre gab es viele Kämpfe, die sich gegen menschenfeindliche Projekte des Systems richteten, aber auch Ausdruck der Suche nach freien Lebensformen waren. Ein sozialer Aufbruch, der bereits im Jetzt nach dem Anfang einer anderen gesellschaftlichen Wirklichkeit suchte. Tausende aus den verschiedenen Bewegungen gingen in den Achtzigern gegen das auf die Straße, was auch die RAF seit '79 angreifen wollte: die Militarisierung der Politik der NATO-Staaten, die dem Westen "anderthalb" Kriege gleichzeitig ermöglichen sollte - Krieg gegen die Sowjetunion und gleichzeitig die Kriegsinterventionen gegen Befreiungsbewegungen und Revolutionen wie in Nicaragua, die einen Schritt der Befreiung von den westlichen Diktaturen erkämpft hatten.
Die RAF ging davon aus, daß sie in dieser neuen Etappe nicht alleine bleiben würde. Das Konzept war von der Hoffnung getragen, daß sich militante Teile der verschiedenen Bewegungen in die gemeinsame Front stellen würden. Doch dieses Konzept enthielt keinen Ansatz, der damit umging, daß in dieser gesellschaftlichen Situation nur die wenigsten einen Sinn des Befreiungskampfes auf dem Niveau des Krieges sahen. Der Befreiungskampf, dessen zentrales Moment das des Krieges ist, macht nur Sinn, wenn es eine Chance gibt, daß Kräfte in da Gesellschaft bereit sind, ihn aufzunehmen; wenn es eine Chance gibt, daß er sich ausweitet - und wenn es wenigstens auf den radikaleren Teil der Bewegungen ist.
Aber selbst die, die solidarisch waren - und das waren nicht wenige -, haben den Kampf mit dieser Vorstellung nicht aufgenommen. Der Guerillakrieg braucht die Perspektive auf die Ausweitung auf eine neue Ebene des Kampfes. Diese für den Kampf der Guerilla existenzielle Entwicklung haben wir nie erreichen können. Die Vorstellung der RAF, die die bewaffnete Aktion zum Mittelpunkt des Kampfes bestimmte, unterbewertete die politischen und gegenkulturellen Prozesse außerhalb des politisch- militärischen Kampfes. Die Überwindung dieser strategischen Richtung, die in der Grundstruktur nicht über das Konzept der siebziger Jahre hinauskam, wäre die Voraussetzung für ein neues revolutionäres Projekt gewesen. Die Front konnte das neue Befreiungsprojekt, das die Trennungen zwischen den Bewegungen und der Guerilla aufhob, nicht sein.
Die RAF ging in den achtziger Jahren davon aus, daß der sozialrevolutionäre Ansatz im Angriff auf die zentralen Machtstrukturen des Imperialismus enthalten sei. Mit dieser Vorstellung wurde die Politik immer abstrakter. Es führte zur Aufspaltung von dem, was zusammengehört: Antiimperialismus und soziale Revolution. Der sozialrevolutionäre Ansatz verschwand aus Theorie und Praxis der RAF. Die auf die antiimperialistische Linie beschränkte Orientierung der antiimperialistischen Front war die Konsequenz. Die RAF ist an der sozialen Frage nicht identifizierbar gewesen. Ein Grundfehler.
Die Subsumierung jedes sozialen und politischen Inhalts unter den antiimperialistischen Angriff gegen das "Gesamtsystem" produzierte falsche Trennungen statt einen Prozeß der Einheit; und es führte zu einer Unidentifizierbarkeit an konkreten Fragen und Inhalten des Kampfes. Die Wirkung in die Gesellschaft blieb begrenzt, denn die Vorstellung durchzukommen, indem gesellschaftliches Bewußtsein geschaffen wird und so der Konsens zwischen Staat und Gesellschaft aufgebrochen werden kann - ein zentrales Moment jedes revolutionären Prozesses -, verschwand zunehmend. Statt dessen versuchte die RAF, durch die Schärfe des Angriffs das Herrschaftsgefüge des Staates zu zerrütten. Die Priorität verschob sich zugunsten des militärischen Moments. Diese Gewichtung im Kampfprozeß blieb durch die ganzen achtziger Jahre hindurch erhalten und prägte unseren Kampf.
Wir führten Angriffe gegen Projekte der NATO und mit anderen Guerillagruppen Westeuropas zusammen gegen den militärisch- industriellen Komplex des Kapitals durch; es gab den Versuch von Action Directe aus Frankreich, Brigate Rosse/PCC aus Italien und uns, eine westeuropäische Guerillafront aufzubauen. Die RAF konzentrierte sich darauf, die Angriffe - so weit es die Kräfte zuließen - gegen NATO-Projekte und seit '84 gegen die Formierung der westeuropäischen Staaten zu einem neuen Machtblock zu forcieren. Es wurde die Konzentration auf die eigene geringe Kraft und die derjenigen Militanten, die sich eng an der RAF orientierten. Aus dem Versuch, mit anderen Gruppen des Widerstands zusammen eine gemeinsame Front aufzubauen, wurde diese mehr ein Korsett denn eine bereichernde Erweiterung. Die Front mußte wohl auch deshalb wieder auseinanderbrechen, weil zu viel Energie davon aufgesogen wurde, die "richtige" Linie zu halten. In dieser Enge konnte keine politische Dynamik entfaltet werden. Statt eines neuen Horizonts, der sich in der Vielfalt des Widerstandes am Anfang der achtziger Jahre noch zu eröffnen schien, schnürten Starre und Enge die Politik im Laufe des Jahrzehnts zunehmend ein.
Es bestand eine große Diskrepanz zwischen der Bereitschaft der Militanten der RAF, in der Konfrontation alles zu geben, und der gleichzeitigen Zaghaftigkeit, neue Ideen für den Befreiungsprozeß zu suchen. In dieser Hinsicht wurde wenig riskiert. In dieser Zeit - das Konzept der achtziger Jahre war wenige Jahre alt - gab es auch eine Entwicklung auf unserer Seite, die von einer manchmal mit demonstrativ kalter Konsequenz betriebenen Politik geprägt war, die dann tatsächlich nicht mehr war als "Politikmachen" - zu weit entfernt von allem, was Befreiung ist.
Es war dennoch eine Zeit, in der die RAF und die Gefangenen aus der RAF durch alle Härten und Niederlagen hindurch mit ihrer Entschiedenheit zeigten, daß sie im Gang der Geschichte unkorrumpierbar geblieben waren und darauf bestanden, die Verhältnisse gegen den Willen der Macht verändern zu wollen. Das machte auch anderen Hoffnung und zog viele an, denn der Kampf um Kollektivität und Zusammenhalt stand gegen die Vereinzelung und Einsamkeit in der Gesellschaft. Im Kampf der Gefangenen gegen die Isolation und für ihr Zusammensein, in ihrem Kampf für Würde und Freiheit war etwas enthalten, wonach sich auch viele andere sehnten und womit sich viele identifizieren konnten. Die Konsequenz und Kompromißlosigkeit der RAF und der Gefangenen gegen die Macht stand gegen jeden Versuch der Herrschenden, die Kämpfe für ein anderes Leben niederzumachen.
Wir, die wir uns zum großen Teil erst spät in der RAF organisierten,...
sind in der Hoffnung hierhergekommen, unseren Kampf in den sich verändernden Bedingungen nach den weltweiten Umbrüchen neu einbringen zu können. Wir suchten nach Veränderungen für den Befreiungskampf, nach einem neuen Weg, auf dem wir uns mit anderen würden verbinden können. Und wir meinten, in denen etwas wiederzuerkennen, die diesen Kampf vor uns aufgenommen hatten, gestorben sind oder in den Knästen waren. Auf uns hatte der Kampf in der Illegalität eine große Anziehungskraft gehabt. Wir wollten unsere Grenzen durchbrechen und frei sein von allem, was uns im System hält.
Der bewaffnete Kampf in der Illegalität war für uns nicht mehr das einzig Mögliche und Notwendige des Befreiungsprozesses. Trotzdem wollten wir gerade angesichts der Krise der Linken überall auf der Welt die Stadtguerilla als Möglichkeit und die Illegalität als ein Terrain des Befreiungsprozesses weiterentwickeln. Aber wir sahen damals, daß das allein nicht ausreichen würde. Auch die Guerilla würde sich verändern müssen. Unsere Hoffnung war eine neue Verbindung der Guerilla und anderen Orten des Widerstands in der Gesellschaft. Dafür suchten wir nach einem neuen Entwurf, in dem die Kämpfe von den Stadtteilen bis zur Guerilla würden zusarnmenstehen können.
Es war uns wichtig, nach dem Zusammenbruch der DDR unseren Kampf in ein Verhältnis zur neuentstandenen gesellschaftlichen Situation zu bringen. Wir wollten unsere Schritte in Beziehung zu allen denen setzen, deren Träume mit dem Ende der DDR und ihrer Übernahme in die BRD untergegangen waren. Sei es, weil sie erkennen mußten, daß der Realsozialismus nicht wirklich Befreiung geschaffen hatte. Oder andere, die manchmal schon zu Zeiten der DDR in Opposition zum Realsozialismus waren, und davon geträumt hatten, etwas jenseits von Realsozialismus und Kapitalismus erreichen zu können. Die meisten von denen, die in der DDR gelebt hatten und 1989 den Anschluß an die BRD gefordert hatten, erahnten die neue depressive gesellschaftliche Situation, die sie mit hervorgerufen hatten, und den massenweisen Entzug sozialer Sicherheiten damals noch nicht. Wir wollten in dieser für alle unbekannten historischen Situation zwischen denen, die in der Konfrontation mit dem BRD-Staat um Befreiung kämpften, und anderen, die in der damals nicht mehr existierenden DDR mit der rassistischen und insgesamt reaktionären Entwicklung längst unglücklich waren, einen Bezug herstellen. Wir wollten das Feld weder der Resignation noch der Rechten überlassen.
Später sahen wir, daß der Dimension des Umbruchs nur ein neues und internationalistisches Befreiungsprojekt gerecht werden kann, dem die neue Realität aus 0st und West zugrunde liegt. Die RAF mit der Verwurzelung allein in der Widerstandsgeschichte der alten BRD konnte dem nicht gerecht werden.
Der Versuch, die RAF noch in den Neunzigern neu einzubinden, war ein unrealistisches Vorhaben
Wir wollten eine Transformation der aus der 68er Bewegung entstandenen Konzeption zu einem neuen sozialrevolutionären und internationalisitschen Konzept der Neunziger. Es war eine Zeit, in der wir nach Neuem suchten, aber - behaftet von den Dogmen der vorangegangenen Jahre - nicht radikal genug über das Alte hinausgingen. Und so machten wir den Fehler, den alle von uns nach '77 machten: wir überschätzten das Halten der Kontinuität unserer Konzeption für den Kampf. Aber grundsätzlich besteht die Gefahr, den bewaffneten Kampf zu diskreditieren, wenn er aufrechterhalten wird, ohne daß geklärt ist, wie er den revolutionären Prozeß spürbar voranbringt und zur Stärkung des Befreiungskampfes führt. Damit verantwortlich umzugehen, ist wichtig, denn sonst ist der bewaffnete Kampf nachhaltig diskreditiert - auch für eine andere Situation, in der er wieder gebraucht wird.
Die Krise, in der die Linke der achtziger Jahre an ihre Grenzen kam und sich bereits in Auflösung befand, machte unseren Versuch, die RAF in ein neues Projekt einzubinden, zu einer unrealistischen Sache. Wir waren viel zu spät - auch dafür, um die RAF nach einem Prozeß der Reflektion zu transformieren. Kritik und Selbstkritik haben ja nicht das Ziel, etwas zu beenden, sondern etwas weiterzuentwickeln. Das Ende der RAF ist letztlich keine Folge unseres Prozesses der (Selbst-)Kritik und Reflexion, sondern es ist notwendig, weil die Konzeption der RAF nicht das enthält, woraus jetzt etwas Neues entstehen kann.
Wenn wir diesen Abschnitt unserer Geschichte heute in den gesamten historischen Prozeß einordnen, dann ist aus diesem Versuch, die RAF wieder in einen stärkeren politischen Prozeß zurückzubringen, in erster Linie die Verlängerung von etwas geworden, was sich längst die Perspektive eines abgeschlossenen Projektes verdient hatte. Wir mußten erkennen, daß aus dem alten Aufbruch vor allem die Kampfform geblieben war. Ein neuer Sinn, der eine Perspektive jenseits von Arbeitsgesellschaft und menschenfeindlicher, profitorientierter Ökonomie eröffnet, der dann die Grundlage des Befreiungskampfes der Zukunft sein kann und viele wird zusammenbringen können, existierte faßbar noch nicht.
Nach unserer Niederlage von 1993 wußten wir, daß wir nicht alles einfach genauso weitermachen können, wie wir es mit dem Einschnitt in unserem Kampf 1992 begonnen hatten. Wir waren uns sicher, daß wir unsere Ziele richtig bestimmt, jedoch schwere taktische Fehler gemacht hatten. Wir wollten noch einmal mit denen, die noch in den Knästen waren, alles zusammen durchdenken und gemeinsam eine neue Etappe beginnen. Doch am Ende zeigte sich in der für uns schmerzlichen Spaltung eines Teils der Gefangenen von uns, in der wir zu Feinden erklärt waren, daß die Entstehungsbedingungen der RAF - Solidarität und Kampf um Kollektivität - bereits vollständig verraucht waren.
Unser Prozeß der eigenen Befreiung ...
... ist uns wichtig gewesen und dennoch immer wieder stagniert. Wir wollten Kollektivität genauso wie die gemeinsame Überwindung jeglicher Entfremdung. Aber der Widerspruch zwischen Krieg und Befreiung ist bei uns oft verdrängt und weggeredet worden. Auch der revolutionäre Krieg produziert Entfremdungen und Autoritätsstrukturen, was Befreiung widerspricht. Damit umzugehen, so daß es sich nicht als Struktur festsetzt, ist nur möglich, wenn es ein Bewußtsein darüber gibt. Ansonsten verselbständigen sich neue Autoritätstrukturen und Verhärtungen - sowohl in der Politik als auch in den Verhältnissen. Das zeigte sich unter anderem in den oft wechselseitig hierarchischen Strukturen der Front der achtziger Jahre und in den autoritären Zügen der Spaltung des Jahres '93. Und es zeigt sich in der Rückkehr zur Verbürgerlichung der Wahrnehmung und des Denkens, was in der Geschichte der RAF dahin führte, daß zu viele, die hier kämpften, die Berechtigung des gesamten Aufbruchs nicht mehr sehen können.
Es war ein strategischer Fehler, neben der illegalen, bewaffneten keine politisch-soziale Organisation aufzubauen. In keiner Phase unserer Geschichte ist eine über den politisch-militärischen Kampf hinausgehende politische Organisierung verwirklicht worden. Das Konzept der RAF kannte letztlich nur den bewaffneten Kampf - mit dem politisch- militärischen Angriff im Zentrum. In den grundlegenden Erklärungen der RAF bis Mitte der siebziger Jahre war diese wichtige Frage noch nicht geklärt, was kaum anders hätte sein können. Es gab in der Metropole kaum und in der BRD überhaupt keine Erfahrungen mit der Stadtguerilla. Es war notwendig, vieles erst herauszufinden und sich praktisch als richtig oder falsch erweisen zu lassen. Trotzdem gab es eine Richtung an der entscheidenden Frage, ob das Befreiungsprojekt von einer illegalen Organisation für den bewaffneten Kampf ausgefüllt werden kann - oder aber ob der Aufbau der Guerilla Hand in Hand gehen muß mit dem Aufbau von politischen Strukturen, die in Basisprozessen wachsen können. Unsere gefangenen GenossInnen schrieben dazu im Januar 1976, daß der bewaffnete Kampf aus der Illegalität die einzige Möglichkeit zu praktisch-kritischer Tätigkeit im Imperialismus sei.
Auch das Konzept vom Mai 1982 hielt trotz aller Widersprüchlichkeiten und obwohl es ein Versuch war, einen neuen politischen Zusammenhang mit anderen zu finden, an dieser fehlerhaften Vorstellung fest. Denn auch dieses Konzept brach nicht mit der Zentralität des bewaffneten Kampfes in der Metropole. Die politischen Aktivitäten, die aus dem Frontprozeß kamen, erstreckten sich meist auf die Vermittlung des Angriffs innerhalb der Strukturen der radikalen Linken.
Das Ausbleiben einer politischen Organisierung über mehr als zwanzig Jahre hinweg hatte zu jeder Zeit einen insgesamt schwachen politischen Prozeß zum Ergebnis. Die Überschätzung der Wirkung politisch-militärischer Aktionen in der Metropole der letzten Jahrzehnte ist für dieses Konzept Voraussetzung gewesen. Die RAF setzte ihre Strategie des bewaffneten Kampfes in den verschiedenen Phasen unterschiedlich um und kam dabei zu keinem Zeitpunkt in das Stadium, in dem der militante Angriff dahinkommt, wo er hingehört: zur taktischen Option einer umfassenden Befreiungsstrategie.
Diese Schwäche hat auch dazu beigetragen, daß unsere Organisation am Ende der über mehr als zwei Jahrzehnte langen Etappe nicht mehr transformiert werden konnte. Die Voraussetzungen, um den Schwerpunkt des Kampfes auf die politische Ebene zu heben - wie wir es 1992 wollten - waren nicht vorhanden. Aber das war letztlich auch nur eine Folge des zugrunde liegenden strategischen Fehlers.
Die ausbleibende politisch-soziale Organisierung ist ein entscheidender Fehler der RAF gewesen. Es ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Grund, weshalb die RAF kein stärkeres Befreiungsprojekt aufbauen konnte, und letztlich die entscheidende Voraussetzung fehlte, im Aufbau einer nach Befreiung suchenden und kämpfenden Gegenbewegung einen stärkeren Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen. Fehler des Konzepts wie dieser, der die RAF in ihrer gesamten Zeit begleitete, zeigen, daß das Konzept der RAF in den Befreiungsprozessen der Zukunft keine Gültigkeit mehr haben kann.
Das Ende der RAF fällt in eine Zeit, in der die ganze Welt mit den Folgen des Neoliberalismus konfrontiert ist. Der internationale Kampf gegen Vertreibung, gegen Ausgrenzung und für eine gerechte und gmndsätzlich andere soziale Realität steht gegen die gesamte Entwicklung des Kapitalismus. Die globalen und innergesellschaftlichen Verhältnisse verschärfen sich in der Turbulenz der historischen Entwicklung nach dem Ende des Realsozialismus immer weiter. Trotzdem besteht kein Widerspruch, unser Projekt zu beenden und weiterhin die Notwendigkeit zu sehen, daß alles getan werden muß, was sinnvoll und möglich ist, damit eine Welt jenseits des Kapitalismus entstehen kann, in der die Emanzipation der Menschheit Wirklichkeit werden kann. Angesichts der verheerenden Folgen des Zusammenbruchs des Realsozialismus weltweit und der Massenverarmung für Millionen Menschen in der ehemaligen Sowjetunion ist es zu wenig, heute allein von Chancen zu reden, die sich aus dem Ende des Realsozialismus ergeben. Trotzdem sehen wir, daß wirkliche Befreiung im realsozialistischen Modell nicht möglich war. Aus den antiemanzipatorischen Erfahrungen mit den autoritären und staatsbürokratischen Konzepten des Realsozialismus sind die Konsequenzen für die zukünftigen Wege der Befreiung noch zu ziehen. Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus ist die Systemkonkurrenz weggefallen, womit für die Akteure des kapitalistischen Systems auch die Notwendigkeit entfallen ist, ihr System als das "bessere" erscheinen zu lassen. Mit dem Wegfall dieses ideologischen Kapitalhemmnisses ist ein Prozeß der globalen Entfesselung des Kapitals eingetreten: die ganze Menschheit soll den Kapitalbedürfnissen unterworfen werden. Der Neoliberalismus ist die ideologische und ökonomische Grundlage für einen weltweiten Optimierungsschub der Verwertung von Mensch und Natur für das Kapital. Die Systemvertreter nennen das "Reformschub" oder "Modernisierung".
Es ist mehr als deutlich, daß die gegenwärtige Entwicklungsstufe des Systems für den überwältigenden Teil der Menschheit weitere soziale und existenzielle Härten bringt. Für die Mehrheit auf der Welt bedeutet Neoliberalismus eine neue Dimension der Bedrohung ihres Lebens. Im Kampf um politische Hegemonie und ökonomische Macht halten nur die Ökonomien mit, deren Kapazitäten zunehmend zugunsten des blanken Profits der Konzerne und eines immer kleiner werdenden Teils der Gesellschaft aufgebracht werden. Die Rückwirkungen dieses Systemlaufs führen zu tiefgreifenden Veränderungen innerhalb der Gesellschaften. Und dazu, daß die zunehmende Verarmung und die daraus kommende Brutalisierung eine weitere Entfesselung von Krieg und Barbarei hervorbringen. Wenn es ihre ökonomischen und politischen Interessen berührt, werden die reichen Staaten jederzeit in solche Konflikte ihrerseits mit Krieg eingreifen, um weiterhin den "uneingeschränkten Zugriff auf die Rohstoffe" der Erde sicherzustellen und um ihren Machtanspruch durchzusetzen. Ihnen wird es nie um tatsächliche Lösungen für die Menschen gehen, sondern nur darum, die Zerstörung, die ihr System in Gang setzt, zu kontrollieren und Profite für wenige daraus abzuschöpfen. Es ist kein Widerspruch, sondern entspricht vollkommen der Logik des Systems, daß wir in dieser Phase überall auf derWelt die Krisen der politischen Systeme und das Auseinanderbrechen der Gesellschaften bis hin zur Verarmung größerer Teile der bislang weitgehend von materiellem Elend verschont gebliebenen Metropolenmassen erleben und gleichzeitig die transnationalen Konzerne mächtiger sind denn je und größere Gewinne abzocken als jemals zuvor.
Paradoxerweise scheint die erfolgreiche Gewinnmaximierung des Kapitals mit dem dadurch hervorgerufenen Zerfallsprozeß der Gesellschaften den Kapitalismus an seine Grenzen zu treiben. Mit dieser Entwicklung droht zunächst vor allem ein weiteres Voranschreiten der Barbarei. Aus der Eigendynamik der Systementwicklung wird sich dieser negative Prozeß immer weiter fortsetzen, bis es eine Befreiungsvorstellung gibt, aus der neue Kraft für die Überwindung des Systems entsteht. Aber auch heute gibt es nicht nur die Niederlagen der historischen Linken und die Gewalt der weltgesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch die Lunte der aufständischen Bewegungen, die von der Erfahrung der weltweiten Widerstandsgeschichte ausgehen können.
In dieser globalen Entwicklung setzt der Kapitalismus auch in den Metropolen immer weniger auf die Möglichkeit, sich dort die weitgehende Ruhe mit "Sozialstaatssystemen" zu erkaufen. Statt dessen werden immer größere Teile der Gesellschaft ausgegrenzt, die im Produktionsprozeß nicht mehr benötigt werden. "Weltmacht" und "Sozialstaat" passen nicht mehr unter einen Hut. An die Stelle der alten "Sozialstaaten" wird beispielsweise in Europa unter der politischen und ökonomischen Hegomonie der BRD und mit der BRD als rassistischem Frontstaat ein ganzer Kontinent zum Polizeistaat gemacht.
Polizei und Militär gegen die dem Elend, Krieg und Unterdrückung Entfliehenden. Abschiebungen in Krieg und Folter. Eine Gesellschaft voller Knäste. Rausschmiß aus den Konsumzentren von Obdachlosen, Jugendlichen und allen, die der Biederkeit von Stammtisch und Bourgeoisie widersprechen, durch Polizei und Sicherheitsdienste. Die Wiedereinführung geschlossener Heime als Kinderknäste. Der Versuch der totalen Kontrolle von Flüchtlingen durch Chipcards in naher und anderer sozialer Gruppen in weiterer Zukunft. Knüppel und Gewehr gegen die abzusehenden Revolten der an den Rand Gedrängten. Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung. Und selbst die totale Bemächtigung des Menschen durch seine gentechnologische Produktion kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Auch Ausgrenzung und Verfolgung durch die soziale Abstumpfung innerhalb der Gesellschaft ist hier und anderswo alltäglich. Rassismus von unten bedroht das Leben von Millionen, was in Deutschland die mörderische Markanz der historischen Kontinuitat dieser Gesellschaft in sich trägt. Ausgrenzung von Behinderten von oben und Aggression gegen sie von unten zeigen eine Gesellsch